26.07.2022, 17:40 Uhr

Bisher ist ein klarer Trend zu beobachten: Die Menschen in Deutschland werden statistisch gesehen immer älter. Aber die beiden Corona-Jahre 2020 und 2021 sind eine Ausnahme. Statistiker aus Wiesbaden berichten über die Auswirkung von Covid-19 auf die Lebenserwartung. Die Lebenserwartung in Deutschland ist seit Beginn der Corona-Pandemie deutlich gesunken. Die durchschnittliche Lebenserwartung im Jahr 2021 betrug nur 83,2 Jahre für neugeborene Mädchen und 78,2 Jahre für neugeborene Jungen. Die Lebenserwartung von Neugeborenen ist damit gegenüber 2019 – dem letzten Jahr vor der Pandemie – stark gesunken, wie das Statistische Bundesamt in Wiesbaden mitteilte: um 0,6 Jahre bei Jungen und um 0,4 Jahre bei Mädchen. Statistiker sind sich sicher: „Hauptgrund für diese Entwicklung sind die extrem hohen Todeszahlen während der Corona-Wellen.“ Die Entwicklung der Lebenserwartung deutet auf Veränderungen der Sterblichkeit hin, die unabhängig von der Altersstruktur sind. Daher eignen sie sich besonders gut für Vergleiche. „Wir können die Entwicklung direkt auf Covid-19 zurückführen“, stimmt Jonas Schöley zu, der am Max-Planck-Institut für demografische Forschung in Rostock zur Bevölkerungsgesundheit forscht. Die Zahlen aus Wiesbaden stimmen eins zu eins mit den Ergebnissen seiner Forschungsgruppe überein. „Ein so starker Rückgang, der in zwei aufeinanderfolgenden Jahren weltweit synchronisiert ist, ist völlig ungewöhnlich und eine absolute Ausnahme.“

Ostdeutschland war besonders betroffen

Der Analyse zufolge war der Rückgang der Lebenserwartung bei der Geburt von 2019 auf 2021 in Ostdeutschland besonders stark ausgeprägt. Dieser Wert verringerte sich bei Jungen um 1,3 Jahre und bei Mädchen um 0,9 Jahre. In Westdeutschland betrug die Kürzung 0,4 Jahre bei Jungen und 0,3 Jahre bei Mädchen. Die ostdeutschen Bundesländer waren ab der zweiten Welle besonders von der Pandemie betroffen. Bei diesem Thema spielen zwei Faktoren eine Rolle: Da der Anteil älterer Menschen an der Bevölkerung zunimmt, wird die Zahl der Todesfälle voraussichtlich seit etwa 20 Jahren jedes Jahr steigen. Gleichzeitig – zumindest vor Beginn der Corona-Pandemie – wurden die Alten immer älter. „Der Effekt der steigenden Lebenserwartung hat also das Phänomen des Alterns abgeschwächt“, erklärt die Bundesagentur. Da beide Effekte gleichzeitig wirkten, stieg die Zahl der Todesopfer vor Beginn der Pandemie um durchschnittlich ein bis zwei Prozent pro Jahr. 2020 war der Anstieg deutlicher als im letzten Jahr vor der Pandemie 2019 – die Statistik zeigte fünf Prozent mehr Todesfälle. 2021 stieg die Zahl der Todesfälle um weitere vier Prozent.

Deutlich höhere Zahl der Todesopfer

„Ausgehend von 2019 wäre für 2021 mit einer Sterberate von 960.000 bis 980.000 zu rechnen, ein Plus von 2 bis 4 Prozent. Tatsächlich ist die Zahl der Todesfälle von 2019 auf 2021 um 9 Prozent gestiegen“, so die Statistiker. „Im Vergleich zu 2020 und 2021 gab es etwa 70.000 bis 100.000 zusätzliche Todesfälle.“ Fast 115.000 Todesfälle durch Covid 19 wurden dem Robert Koch-Institut in diesen zwei Jahren gemeldet. Das Statistische Bundesamt erklärt, dass das Ergebnis 2021 mit Maßnahmen und Verhaltensänderungen während der Pandemie geringer ausgefallen sei als 2020. Sie haben möglicherweise auch weniger Todesfälle durch andere Infektionskrankheiten wie Influenza in den Jahren 2020 und 2021.

Ist der Trend vorbei?

Die Frage ist, ob die zwei großen Jahre vorbei sind oder ob sie einfach die Tendenz der Menschen zum Älterwerden unterbrochen haben. Die Lebenserwartung in Europa steige seit mehr als 100 Jahren, sagt Schöley, aber in dieser Zeit habe es immer wieder Einbrüche gegeben, wie die beiden Weltkriege oder die Spanische Grippe. Danach sind Sie immer wieder auf die positive Entwicklung zurückgegangen. Manchmal beschleunigten Krisen den Trend sogar. „Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten Sie Antibiotika – vielleicht hilft uns die mRNA-Technologie, auf der die meisten Coronavirus-Impfstoffe basieren, im Kampf gegen Krebs.“ Allerdings gibt es auch neue Risikofaktoren, wie eine mögliche Finanzkrise oder politische Instabilität. “Dann können wir sicher länger warten, bis die gestiegene Lebenserwartung zurückkehrt.”