Haben Sie letzte Nacht auch von der Turbine SGT-A65 geträumt? Ich hoffe nicht, aber wenn doch, teilen Sie diesen Albtraum wahrscheinlich gerade mit vielen deutschen Politikern. Die in Kanada reparierte Gasturbine, die auf die Installation an der Nord Stream 1-Pipeline in der Ostsee wartet, ist zum Inbegriff von Putins Gaskrieg gegen Deutschland geworden. Wird geladen… Einfügung Das Leuchtfeuer reagierte mit Entsetzen: Worst-Case-Szenarien wurden verbreitet, Sanktionen gegen Russland ausgehebelt, westliche Partner verärgert. Die Siemens-Turbine wurde als „notwendig“ erachtet, um russisches Gas wieder durch die Pipeline liefern zu können. Das hat zumindest der Kreml gesagt, und Deutschland hat die Bedingungen schnell erfüllt. Durch die deutsch-russische Schicksalspipeline fließt wieder Gas – etwas weniger als heute – aber die Turbine ist noch nicht zurück in Russland. Außerdem ist sein Aufenthaltsort seit Tagen ein Rätsel. Fast niemand weiß, wo es zu finden ist. Die Turbine Siemens Energy SGT-A65, eine der zentralen Karten im Machtspiel um die Ostseepipeline Nord Stream 1. (Quelle: Siemens AG) In diesem Notfall würden Gläubige an Christus den Heiligen Antonius anrufen, der der Legende nach hilft, verlorene Gegenstände zu finden. Als ich aufwuchs, habe ich oft Hausdurchsuchungen im Auftrag von „Schlampertoni“ – wie er in Bayern liebevoll genannt wird – gesehen, daher weiß ich, dass der alte Franziskanermönch wählerisch sein kann. Nicht jeder Gegenstand ist seiner Hilfe wert. So mancher Autoschlüssel oder Führerschein ist bis heute nicht aufgetaucht. Immerhin: Siemens gab am Montag bekannt, dass die Turbine ein Schiff nach Finnland verpasst habe und sich derzeit auf deutschem Boden befinde. Aber wohin und wann sie sie bringen werden, bleibt ein Rätsel. Auch die Bundesregierung schweigt und verweigert die Auskunft darüber, “wo und wann die Turbine steht”. Sie mögen einwenden, dass eine Gasturbine für Russland nicht in der Verantwortung von Schlampertoni liegt. Im Allgemeinen ist die Angelegenheit zu ernst für einen ironischen Kommentar. Ich möchte Ihnen widersprechen. Schließlich ist die unendliche Nord-Stream-Turbinen-Saga genau das: ein politisches Spiel des Kremls, wenn auch ein zugegebenermaßen zynisches. Denn noch bevor eine Turbine zurückkehrte, meldete der russische Betreiber Gazprom am Montag ein Problem mit einer anderen Turbine. Das Ergebnis: Halbierung der Gasmenge durch die Nord Stream-Pipeline. Ab diesem Mittwoch fließen nur noch 33 Millionen Kubikmeter pro Tag nach Deutschland, etwa 20 Prozent der Maximalkapazität. Spätestens da war klar: Die Turbine ist nur ein Vorwand, um Deutschland zu erpressen. Ein politisches Spiel, das von Putins KGB-Clique im Kreml gespielt wird, um dem Westen seine Verwundbarkeit aufzuzeigen. Mit Erfolg – ​​das Tauziehen um die Turbine war ein kluger Schachzug des Kremls. Die Balance:

Westliche Partner greifen sich gegenseitig an Im nationalen Interesse umgangene Sanktionen eine Turbine, die mitten im Nirgendwo feststeckt Gas, das am Ende noch drosselt

Sie wollten dem Kreml keinen Vorwand liefern, Deutschland das Erdgas komplett abzudrehen, die Ampel rechtfertigte ihr Vorgehen. Ausgerechnet Außenministerin Annalena Baerbock, die sonst eine klare Linie gegenüber Russland vertritt, drohte sogar mit “Volksaufständen”. Am Ende ging Putins Falle jedoch zu und die Bundesregierung rannte mit offenen Augen davon. Außenministerin Annalena Baerbock verirrte sich mit ihrer Warnung vor “Volksaufständen” in Deutschland. (Quelle: Tomas Tkacik/dpa-images) Jetzt werden viele sagen: Es war klar. Das wusste ich bereits! Russland schafft ständig irgendwelche Vorwände, um seine Ziele zu erreichen. Korrekt. Aber die Erpressung von Staaten ist ein komplexes politisches Unterfangen. Sie erfordert Fingerspitzengefühl und hängt von vielen Faktoren ab: Gibt der Erpresste nach oder schafft er es, Gegendruck zu mobilisieren? Wo ist die Achillesferse, wann zuschlagen? Bietet der Erpresser gleichzeitig einen Ausweg und versucht so, die Erzählung zu kontrollieren? Leider hat der Kreml im Laufe der Jahre eine Art Expertise in der Gaskriegsführung angesammelt: etwa im Gaskrieg gegen Weißrussland 2004, als Moskau im Minus-25-Grad-Winter den Gashahn in Minsk zudrehte. Oder gegen die Ukraine 2005, Georgien 2006 und so weiter. Eine besondere Rolle kommt dabei dem Nord-Stream-Anbieter Gazprom zu: Der ehemalige Gazprom-Mitarbeiter Igor Volobuyev enthüllte kürzlich, wie systematisch das Unternehmen zu einer Waffe in Putins hybridem Krieg gemacht wurde. Nach Beginn des Eindringens wechselte der frühere PR-Chef die Seiten und nennt das Unternehmen heute “die Tankstelle” Russlands, die voll ist mit Putins ehemaligen Kumpanen. Die Bundesregierung sollte klarstellen: Im Gaskrieg geht es nicht um Anfänger. „Give No Excuses“ ist eine schwache Strategie gegen eine Machtclique, die ihre Erpressungstaktik seit 20 Jahren perfektioniert. Putin verlässt Deutschland taumelnd: Nur 20 Prozent des potenziellen Erdgases kommen über Nord Stream 1. (Quelle: Jens Büttner / dpa-images) Was im Wirbelwind unterging, waren die Vorbehalte der Ukraine gegenüber dem Kanada-Deutschland-Deal. Denn mit der Rückgabe des Ersatzteils an Gazprom verstießen die beiden Länder gegen Sanktionen gegen Russland, die das Putin-Regime wirtschaftlich isolieren sollen. Doch die Kritik aus Kiew übertönte das deutsche Katastrophenorchester. Womit wir beim Punkt wären: die bröckelnde Front ukrainischer Anhänger in der Bundesrepublik. Neben der AfD und Teilen der Linkspartei, die mit Katastrophenszenarien ein Ende der Sanktionen herbeizuführen versuchen, schreiben deutsche Intellektuelle immer wieder offene Briefe, in denen sie eine De-facto-Kapitulation Kiews fordern, um keinen Weltkrieg mit Russland zu riskieren . Und selbst in SPD und Union wachsen Zweifel, wie lange die harte Linie gegenüber Moskau noch durchzuhalten ist. Einer der wenigen, die die Flucht wagten, ist Sachsens CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer. Seine Forderung nach einem „Einfrieren“ des Konflikts in der Ukraine – ein Code für die Annäherung an Russland – brachte ihm einen Tadel seines Parteichefs ein. Machtrede von Friedrich Merz – „Nicht die Meinung der CDU!“ – galt offenbar nicht nur für den wandernden Kretschmer. Auch all die heimlichen Skeptiker in der Union, die in Russland-Sanktionen mittlerweile mehr Schaden als Nutzen für Deutschland sehen, dürften sich angesprochen fühlen. Wird geladen… Wird geladen… Wird geladen…