Angesichts der weiter eingeschränkten russischen Gasversorgung rückt auch die höchste Stufe des „Gas-Notfallplans“ näher. Für die Unternehmen stellt sich die Frage, wer überhaupt Gas bekommt. Von Marcel Fehr und Christian Kretschmer, SWR
Sollte sich die Erdgasknappheit weiter verschärfen, kann die Bundesregierung in der Notphase des „Gasnotplans“ weitreichende Regelungen zur Verteilung der Erdgasversorgung einleiten. Insbesondere wird die Bundesnetzagentur als „Bundeslastverteiler“ eingesetzt und stellt das Gas in Deutschland zur Verfügung. Schon jetzt ist klar, dass Privathaushalte, soziale Einrichtungen und Gaskraftwerke vorrangig gefördert werden. Allerdings ist noch nicht klar, welche Priorität das Unternehmen konkret hat.
Wie der Netzwerkdienst priorisieren möchte
Um zu ermitteln, wie Gas im Notfall verteilt wird, erstellt die Bundesnetzagentur bis Oktober eine Studie und stellt eine Kommunikationsplattform bereit. Ziel der Studie ist es, die Auswirkungen von Gasknappheit auf Wertschöpfungsketten aufzuzeigen. Ziel sei es, abzuschätzen, wie sich Erdgassperren „auf die Versorgung der Bevölkerung mit kritischen Gütern und Dienstleistungen“ auswirken könnten, erklärt die Bundesnetzagentur.
Darüber hinaus gibt es die sogenannte Gassicherheitsplattform. Das Datenportal dient laut Bundesnetzagentur dem Austausch mit industriellen Großverbrauchern von Erdgas. Hier werden alle relevanten Informationen von Erdgasverbrauchern und Netzbetreibern gesammelt und ausgewertet.
Die Bundesnetzagentur plant, diese Daten zu nutzen, um die Erdgasallokation unter anderem anhand folgender Kriterien zu priorisieren:
Dringend, abhängig von der Art der Gasknappheit Pflanzengröße Schonfristen für die Schließung von Produktionsstätten oder die Anpassung von Produktionsketten Zu erwartende wirtschaftliche und ökologische Schäden und die Bedeutung für das allgemeine Angebot Kosten und Dauer der Reoperation Prozentualer Gasgrundbedarf (im Verhältnis zum Gesamtverbrauch)
Claudia Kemfert, Energieökonomin am Deutschen Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), findet die Datenverarbeitung der Bundesnetzagentur sinnvoll: „Es muss immer um Systemrelevanz gehen. Gemeint sind damit gesellschaftlich wichtige Produkte wie Lebensmittel, Arzneimittel.“ Produkte und alles Wichtige im Leben. Luxus- und Sportartikel oder Tourismus, das sind Dinge, die warten können.“
DIHK zweifelt die Studie an
Ich habe ernsthafte Zweifel, dass die Schwachstellenstudie “die Bundesnetzagentur überhaupt in die Lage versetzt, zu arbeiten”, sagt Sebastian Bolay, Leiter Energie beim Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK). Das zentrale Problem ist, dass niemand die gesamte Lieferkette verstehen kann. Die Frage, welche Unternehmen systemrelevant sind, lässt sich nicht wirklich beantworten.
Es besteht immer die Gefahr, ein systemrelevantes Unternehmen, Bolay, zu vergessen. Eine einfache Prioritätenliste für Unternehmen ist allein deshalb nicht möglich, weil viele Unternehmen sowohl systemrelevante als auch nicht systemrelevante Produkte herstellen. Die oft moralische Entscheidung, welche Produktionsbereiche weiter betrieben werden, liege dann beim Unternehmen, erklärt der Energieexperte.
Umfassende Erdgaslieferketten bei BASF
Einer der größten Erdgasverbraucher in Deutschland ist die BASF in Ludwigshafen. Geschäftsführer Martin Brudermüller beneidet die Bundesnetzagentur nicht: „Das ist eine sehr undankbare Aufgabe. Bei 45.000 Verkaufsprodukten allein der BASF kann man das nicht bis ins letzte Detail analysieren.“
Auf den Chemieriesen entfallen knapp 4 % des gesamten deutschen Erdgasverbrauchs. Nicht nur viele mittelständische Unternehmen setzen auf Produkte der BASF, sondern ganze Branchen. Wichtig für die Automobilindustrie ist beispielsweise ein Rohstoff, den BASF aus Erdgas gewinnt: Acetylen. Das Gas wird für Elektrochemikalien, Kunststoffe und Farben verwendet. Wenn Lieferungen ausfallen, ist mit Problemen in der Automobilindustrie zu rechnen.
Düngemittel für Landwirte werden aus dem Rohstoff Ammoniak hergestellt, der ebenfalls aus Erdgas gewonnen wird. BASF-Chef Brudermüller erwartet dort im nächsten Jahr kräftige Preiserhöhungen. Landwirte würden dann weniger Dünger kaufen, schlussfolgert er: „Dann ist auch mit geringeren Ernten und Engpässen zu rechnen. Dies wird besonders die ärmsten Länder treffen.”
Der Chemieriese prüft bereits Einsparpotenziale beim Erdgasverbrauch. Laut Brudermüller könnte der Konzern vor allem in der Ammoniakproduktion Produktionskapazitäten reduzieren und auslagern. Möglich wäre auch, einen Teil der Energieerzeugung von Erdgas auf Heizöl umzustellen. Mit diesen Maßnahmen ist Brudermüller optimistisch, seinen Teil zum Gassparplan der EU beizutragen und die Mehrkosten durch hohe Energiepreise an die Kunden weiterzugeben, so der Vorstandsvorsitzende.
Dominoeffekte durch Gasmangel
Sinken die Erdgaslieferungen an BASF jedoch unter 50 Prozent der üblichen Menge, muss der Konzern die Produktion einstellen. Der Dominoeffekt, der durch Lieferketten ausgelöst wird, ist schwer vorhersehbar.
Für das mittelständische Unternehmen Gemem in der Pfalz ist die BASF Kunde und Lieferant zugleich. Täglich werden bis zu 80 Tonnen chemische Flüssigkeiten für die Automobilindustrie verarbeitet. Das meiste davon kommt vom Chemieunternehmen in Ludwigshafen. Würden sie die Produktion wegen Erdgasmangels einstellen, hätte das drastische Folgen, sagt Geschäftsführerin Martina Nighswonger: „Dann hätte ich Ärger. Dann müsste ich wahrscheinlich kürzer, wenn nicht länger arbeiten.“ Obwohl das Unternehmen selbst nicht direkt von Erdgas abhängig ist, wird es weiter unten in der Lieferkette davon betroffen sein.
Firmen werden platziert
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