Stand: 28.07.2022 16:05 Uhr                 

Bei der Aufarbeitung des Cum-Ex-Skandals um die Hamburger Privatbank MM Warburg sind Ermittler nach einer WDR-Recherche auf brisante Gespräche eines Finanzbeamten gestoßen. Diese werfen Fragen auf – auch für hochrangige SPD-Politiker. Von Massimo Bognani, WDR

Es sind wenige Worte, kurze Chatnachrichten, die einem Hamburger Politthriller eine Wendung geben könnten. Es geht um die Hamburger Privatbank MM Warburg, ihre illegalen Cum-Ex-Geschäfte und die Frage, ob Hamburger Beamte und Politiker der Bank zu ihrem Schutz die Stirn geboten haben, als die Traditionsbank 2016 ihre Beute zurückzahlen sollte Die Verantwortlichen haben behauptet, dass es zu keinem Zeitpunkt Einfluss auf den Steuerprozess von MM Warburg gegeben habe. WDR-Logo Massimo Bognani Doch nach einer Untersuchung des WDR haben Ermittler aus Nordrhein-Westfalen nun belastendes Material gefunden, das diese Aussagen in Frage stellt. Insbesondere der WhatsApp-Chatverlauf eines Hamburger Finanzbeamten wirft Fragen zu dem Skandal auf, der derzeit auch Gegenstand einer parlamentarischen Untersuchung in Hamburg ist.

Die Chat-Nachricht könnte den Plan enthüllen

Die Hamburger Privatbank hat zwischen 2007 und 2011 wie viele Finanzinstitute weltweit den Cum-Ex-Aktienhandel betrieben. Im Fall von Cum-Ex gelangten die Beteiligten in die Staatskasse. Sie forderten vom Staat Steuern, die sie nie bezahlt hatten. So auch die Warburg Bank. Als das Finanzamt Hamburg 2016 davon erfuhr, wollte es zunächst das Geld einfordern: rund 47 Millionen Euro allein für die Cum-Ex-Geschäfte seit 2009. Doch dann änderte die Behörde plötzlich ihre Meinung und zog die Forderungen zurück. Warum;

Eine Razzia soll Aufschluss geben. Forscher aus NRW hielten im Herbst Präsentationen bei der Hamburger Finanzbehörde und dem Finanzamt großer Unternehmen – darunter Finanzreferentin der Warburg-Bank, Daniela P.

Tatsächlich wurden die Forscher nach Informationen des WDR fündig. Der brisante Chat stammt vom Handy von Daniela P. Am 17. November 2016 schrieb sie einer Vertrauten. Dies geschah nur wenige Stunden, nachdem die Finanzbehörden überraschend beschlossen hatten, auf Cum-Ex-Deals im Wert von 47 Millionen Euro zu verzichten. Um 15.20 Uhr drückte Officer P. auf „Dispatch“. Ihr teuflischer Plan, schreibt sie, sei gelungen. Eine Viertelstunde später fragte ihre Freundin vom Finanzamt in Hamburg, ob die Verjährungsfrist abgelaufen sei. Daniela P. sagte ja – wenn nichts dazwischen kommt.

Politischer Einfluss abgelehnt

Ein teuflischer Plan? Der Gesprächsverlauf deutet darauf hin, dass auch andere Teile der Hamburger Finanzverwaltung beteiligt gewesen sein könnten – oder sich dessen zumindest bewusst waren: Ihr Plan, so der Beamte weiter, sei mit freundlicher Unterstützung von SI und zur großen Freude der 5. Es folgt ein lächelndes Gesicht, das vor Lachen weint. SI definiert eine Leitungsfunktion innerhalb der Hamburger Finanzverwaltung. Die 5 wiederum sollte das „Amt 5“ der Finanzverwaltung darstellen, also die Steuerverwaltung, die direkt dem damaligen Finanzsenator Peter Tschentscher, heute Erster Bürgermeister der Freien und Hansestadt, unterstand.

Das Justizministerium NRW bestätigte die Ermittlungen auf Anfrage: „Der Chatverkehr mit den von Ihnen angegebenen Inhalten ist dem Justizministerium bekannt.“ Für die Auswertung des Gesprächsverlaufs ist jedoch die Staatsanwaltschaft Köln zuständig. Die Staatsanwaltschaft machte ihrerseits keine Angaben zu den laufenden Ermittlungen.

Einspruchsantrag zurückgewiesen

Daniela P. sagte dem WDR, sie werde die SMS nicht kommentieren. In früheren Zeugenvernehmungen hatte er ausgesagt, dass es keine politische Einmischung gegeben habe. Dasselbe sagten die Verantwortlichen des Amtes 5 und Peter Tschentscher zur laufenden Untersuchung. Letztere bezeichnete den Verdacht der politischen Einflussnahme als „völlig unbegründet“. Sein Senatssprecher betonte auf Nachfrage, dass der inzwischen zuständige Ermittler der Staatsanwaltschaft Köln beteiligt gewesen sei.

Die Privatbank MM Warburg erklärte schriftlich, dass sie nicht glaube, dass die Ergebnisse der Untersuchung zu einer unzulässigen Beeinflussung geführt hätten.

Gespräch mit Olaf Solz

Doch trotz aller Aussagen passen WhatsApp-Nachrichten wie Puzzleteile zu den bereits bekannten Abläufen. Denn zunächst schien es, als wollten Finanzbeamte P. und ihre Vorgesetzten das Geld zurückfordern. Das schrieben sie am 5. Oktober 2016 in einem 29-seitigen Bericht an das Finanzamt. Nur wenige Wochen später ließen Daniela P. und ihre Vorgesetzten die Forderung fallen. Was ist passiert?

Privatbankier Christian Olearius ließ in der Hansestadt jedenfalls seine politische Glaubwürdigkeit glänzen. Kein Geringerer als der damalige Oberbürgermeister Olaf Scholz empfing Olearius und Bank-Mitinhaber Max Warburg am 26. Oktober 2016 allein in seinem Büro. Scholz sagte später gegenüber dem Untersuchungsausschuss, er erinnere sich nicht an den Inhalt des Gesprächs mit den sechs Augen.

Olearius hingegen hatte seine Eindrücke in einem Tagebuch festgehalten. Die ledergebundenen Notizbücher fielen später Kölner Forschern in die Hände. Die Bankiers legten Soltz bei dem Treffen einen Brief vor, in dem sie ihre Rechtsauffassung darlegten. Soltz hörte zu, stellte Fragen, ließ aber nicht wissen, ob er etwas unternehmen wollte.

Brief an den Schatzmeister

Am 9. November 2016 wurde Olaf Solz aktiv. Der Bürgermeister hat offenbar Olearius vorgeladen, der dies in seinem Tagebuch festgehalten hat. Es ging ums Schreiben. Scholz soll dazu geraten haben, das Schreiben direkt an Finanzsenator Peter Tschentscher zu schicken. Olearius stellte laut Tagebuch keine Fragen, sondern schickte – wie von Scholz empfohlen – das Schreiben an den damaligen Finanzsenator.

Scholz bestätigte später, dass er in seinem Terminkalender einen Anruf vermerkt habe. An den Inhalt des Gesprächs könne er sich nicht mehr erinnern. Jeden Verdacht auf Beeinflussung stritt er kategorisch ab. Der Brief wurde am selben Tag veröffentlicht, „wegen …