Das Landgericht München befand den Käufer Andreas S. und seinen Mitangeklagten, den Bauunternehmer Cüneyt C., wegen Sachbeschädigung und Nötigung für schuldig. Sie hätten geplant, das denkmalgeschützte Uhrmacherhaus in Obergiesing im Spätsommer 2017 an zwei Tagen widerrechtlich abzureißen, wie das Gericht hörte. Eigentümer S. wollte auf dem Grundstück in der Oberen Grasstraße ein neues, größeres Haus errichten, entsprechende Pläne gibt es. S. hatte zuvor die Bewohner des Hauses für den Eigenbedarf verständigt und daraufhin das Wasser abgestellt, den Strom abgestellt und die Dachziegel am Haus entfernt. Die Staatsanwaltschaft wirft den Angeklagten Sachbeschädigung und Nötigung oder Beihilfe vor, die Verteidigung plädiert auf nicht schuldig. Das Gericht folgte in mehreren Punkten der Einschätzung der Staatsanwaltschaft und verurteilte Andreas S. zu einer Geldstrafe von 132.500 Euro. Der Chef des Bauunternehmens Cüneyt C., der den Abbruchbefehl ausgeführt hat, muss eine Geldstrafe von 4400 Euro zahlen.
Richter erklärt Hausbesitzer zu „extremer krimineller Handlung“
„Ich gehe davon aus, dass der Abriss des Uhrmacherhauses geplant war“, so Richter Schellhaase in seinem Urteil. Zwei miteinander verwechselte Baustellen zu ignorieren – wie die Verteidigung immer wieder glaubhaft zu machen versuchte – passt nicht ins Bild des Richters, zumal einige der beauftragten Handwerker noch nie von einer anderen Baustelle als der in Obergiesing gehört hatten. “Ich halte es für einen Fehler, dass eine Verwirrung alles erklären soll”, sagt Schellhaase. Zudem wurde das vom Bayerischen Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) als Einzeldenkmal geführte kleine Haus aus dem 19. Jahrhundert, das Teil der insgesamt geschützten Feldmüllersiedlung ist, mit einer aktiven Kita unbewohnt Schule. „Ich bin davon überzeugt, dass eine Räumung kaltblütig durchgeführt wurde“, so der Richter weiter. Hausbesitzer Andreas S. habe mit „schwerster Strafverfolgung“ gehandelt, um die im Gebäude verbliebenen Bewohner zu räumen. Bilder zeigten, dass Wasser in das Haus eingedrungen war und es zu „einer einzigen Truhe“ geworden war. Der Angeklagte nahm ein Risiko für die Gesundheit der Insassen in Kauf. “Das ist einfach unanständig”, sagt Schellhaase. Auch die Art und Weise, wie Cüneyt C. am Tag nach dem ersten Abbruchversuch brutal mit der Baggerschaufel auf die Fassade einschlug, hätte laut Richter für Passanten gefährlich werden können.
Das Verfahren stützt sich hauptsächlich auf Indizienbeweise
Warum G. überhaupt am Tag nach dem ersten Abbruchversuch auf die Baustelle kam, konnte während des dreimonatigen Prozesses nicht abschließend geklärt werden. Der Auftragnehmer gab zu, das Haus des Uhrmachers mit dem Bagger in einem Zustand extremer psychischer Belastung zerstört zu haben, nachdem er einen Anruf des wütenden Hausbesitzers erhalten hatte, der zu diesem Zeitpunkt im Urlaub auf Sardinien war. Dieser wiederum verneinte dies und versicherte, dass er nur daran interessiert sei, sein Eigentum zu renovieren. Und so stützte sich der Prozess hauptsächlich auf Indizienbeweise. Chatverlauf, Telefonate oder Nachrichten: Viele davon wurden von den Beteiligten vor der Anhörung gelöscht – „Ich denke, das steht fest“, sagt Richterin Schellhaase. Papiere oder andere Dokumente, die den Abriss des Denkmals schlüssig belegen würden, konnten während der elf Verhandlungstage nicht ans Licht gebracht werden. Unter den mehr als 30 gerufenen Zeugen fehlte auch eine Schlüsselperson: der Baggerfahrer M. Dabei handelt es sich um den Cüneyt-Mitarbeiter C., der am 31. August 2017 das erste Loch in die Fassade des Uhrmacherhauses bohrte und dabei von einem Anwohner gestoppt wurde . M. wurde von der Polizei vernommen, ist aber zwischenzeitlich nicht auffindbar. „Wenn der Plan aufgegangen wäre, hätte Herr M. als Sündenbock fungieren müssen und wäre für den gesamten Abriss verantwortlich gemacht worden“, sagt Richter Schellhaase. Die Verteidigung hingegen sieht in ihrem Mandanten, Inhaber Andreas S., den eigentlichen „Sündenbock“. „Wir sind mit diesem Urteil nicht einverstanden und werden Berufung einlegen“, sagte Rechtsanwalt Maximilian Müller nach der Urteilsverkündung.
Wer ein Denkmal zerstört, muss künftig mit noch höheren Strafen rechnen
Der Fall des illegalen Abrisses des Uhrmacherhauses sorgte bundesweit für Aufsehen. Auch der Einfluss privater Investoren und Immobilienunternehmen auf den Wandel in gewachsenen urbanen Räumen wird in der öffentlichen Diskussion thematisiert. Der bayerische Landtag hat im Frühjahr dieses Jahres die Strafen für Verstöße gegen das Denkmalschutzgesetz erhöht. Hier wird künftig ein Bußgeld von bis zu fünf Millionen Euro fällig, bisher waren es 250.000 Euro. Die Reste des Uhrmacherhauses sind noch heute unter einer Plane vor Wind und Wetter geschützt. Die Stadt München hat entschieden, dass das Häuschen in seinen historischen Dimensionen wieder aufgebaut werden soll, diese Rechtsauffassung wurde vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof (BayVGH) im Sommer 2021 bestätigt. Der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter (SPD) zeigt sich erleichtert der Eigentümer wurde nun auch vor dem Landgericht angeklagt. “Über die Höhe des Bußgeldes kann man streiten, aber eines ist sicher: Wer Mieter verärgert und denkmalgeschützte Gebäude widerrechtlich abreißt, kommt damit nicht durch!”, sagt er.