Scharfe Töne beim Treffen von Außenministerin Baerbock mit ihrem türkischen Amtskollegen Cavusoglu: Es wurden Themen wie der geplante Angriff auf Nordsyrien, der Fall Kavala und der Inselstreit mit Griechenland besprochen.

Der türkische Außenminister Mevlüt Çavuşoğlu warf Deutschland vor, in Fragen mit Griechenland wie dem Konflikt um die Mittelmeerinseln voreingenommen zu sein. Bei Konflikten im östlichen Mittelmeer und in der Ägäis habe Deutschland in der Vergangenheit “aufrichtig vermittelt” und eine ausgewogene Haltung gezeigt, sagte Cavusoglu bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bundesaußenministerin Annalena Baerbock in Istanbul.

„Aber in letzter Zeit haben wir leider gesehen, dass dieses Gleichgewicht verloren gegangen ist.“ „Man muss beiden Seiten zuhören und Informationen von beiden Seiten einholen, ohne Vorurteile“, sagte er. „Drittländer, einschließlich Deutschland, sollten sich nicht an Provokationen und Propaganda beteiligen, insbesondere aus Griechenland und dem griechischen Teil Zyperns“, sagte Cavusoglu.

Solidarität in Griechenland

Baerbock hatte sich bei ihrem Besuch in Athen im Konflikt zwischen den Nachbarstaaten um griechische Inseln in der östlichen Ägäis klar auf die Seite Griechenlands gestellt. Ankara hat zuletzt wiederholt die Souveränität Athens über bestimmte Inseln in der östlichen Ägäis angefochten. Die Regierung stützt sich auf internationale Verträge, dass diese Inseln nicht militarisiert werden sollten. Die Forderungen werden regelmäßig durch Luftraumverletzungen und sogar Überflüge türkischer Kampfjets über bewohnte Inseln verstärkt.

Erhebliche Spannungen beim Antrittsbesuch von Außenminister Baerbock in der Türkei

Bernd Niebrügge, ARD Istanbul, Tagesthemen 21:45 Uhr, 29. Juli 2022

Griechenland begründet den Truppeneinsatz auf den Inseln mit der Präsenz zahlreicher Landungsboote an der türkischen Westküste und verweist auf sein Recht auf Selbstverteidigung. Die NATO-Partner Türkei und Griechenland haben in vielen Fragen unterschiedliche Ansichten. Sie haben zum Beispiel seit langem einen Konflikt um Gasfelder im östlichen Mittelmeer.

Außenministerin Baerbock forderte in ihrem Gespräch mit Cavusoglu auch die Einigkeit innerhalb der Nato – gerade angesichts des Krieges Russlands gegen die Ukraine. Es ist jetzt wichtig, als NATO-Partner vereint zu sein, und die Türkei leistet mit ihrer Unterstützung für das Getreideabkommen einen wesentlichen Beitrag.

Der Angriff auf Syrien sei “nicht gerechtfertigt”.

Baerbock sprach sich auch gegen neue Militäraktionen der Türkei in Nordsyrien aus. Ankara will dort die kurdische YPG-Miliz bekämpfen, die die Regierung als Terrororganisation einstuft. Es sei bekannt, dass die Türkei von Terror bedroht sei, und natürlich habe jeder das Recht auf Selbstverteidigung, sagte Baerbock. Dieses Recht umfasste jedoch keine Vergeltungsmaßnahmen oder abstrakte Präventivschläge.

„Und das gilt aus Sicht der Bundesregierung auch für Nordsyrien“, sagte Baerbock. Die Notlage der Syrer würde durch einen erneuten militärischen Konflikt noch verschlimmert. Gleichzeitig würden neue Instabilitäten entstehen, die nur Terrororganisationen wie der Islamische Staat (IS) nutzen.

Baerbocks türkischer Amtskollege Cavusoglu akzeptierte dieses Argument nicht und antwortete, es handele sich um eine Anti-Terror-Operation, nicht um einen militärischen Konflikt. Die Türkei erwarte nicht nur Worte von Verbündeten, sondern Unterstützung in diesem Kampf, sagte Cavusoglu.

Die Türkei zeigte sich verärgert über die Kritik

Zu Beginn ihres Türkeibesuchs forderte Baerbock die Freilassung des inhaftierten Kulturaktivisten Osman Kavala. Sie sehe es als ihre Pflicht an, “die Entscheidungen des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte jederzeit und ausnahmslos zu respektieren und zu verteidigen”, sagte sie bei einer Pressekonferenz mit Cavusoglu in Istanbul.

„Dazu gehört für mich die Freilassung von Osman Kavala auf Anordnung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte“, sagte der Außenminister. Er wisse, „dass es in diesen Zeiten schwer ist, über Themen zu sprechen, bei denen wir uns beide auf einer Pressekonferenz zerstreiten könnten.“ Aber gerade in diesen Zeiten herrscht die Stimmung, „einander zuzuhören, auch wenn die Ohren schmerzen“.

Cavusoglu warf Baerbock daraufhin vor, den Fall Kavala gegen die Türkei auszunutzen. “Sie nutzen Osman Kavala gegen die Türkei aus”, sagte er. Die Ministerin wies darauf hin, dass Deutschland und andere Länder nicht jede Entscheidung des Menschenrechtsgerichtshofs umgesetzt hätten und sprach von „Doppelmoral“.

Kavala wurde im April von einem Istanbuler Gericht wegen versuchten Sturzes der türkischen Regierung zu lebenslanger Haft verurteilt. Das Urteil wurde international vielfach kritisiert und von der türkischen Regierung als Einmischung in die inneren Angelegenheiten der Türkei abgetan.

Baerbock trifft am Samstag in der türkischen Hauptstadt Ankara mit Vertretern der Opposition, Frauenrechtlern und Flüchtlingen zusammen.

tagesschau live: Pressekonferenz mit Minister Baerbock in Istanbul

29.07.2022 20:10 Uhr